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«Vom wirtschaftlichen Wachstum sollen alle profitieren»

Heinrich M. Lanz, Präsident des Stiftungsrats, und Samuel Bon, CEO, blicken im Gespräch zurück auf 2016. Swisscontact hat im Berichtsjahr ihre Strategie überprüft. In der Schweiz war das Jahr geprägt von politischen Debatten zur Entwicklungszusammenarbeit.  

Heinrich M. Lanz, Präsident des Stiftungsrats, und Samuel Bon, CEO
Heinrich M. Lanz, Präsident des Stiftungsrats, und Samuel Bon, CEO

Das Schweizer Parlament hat 2016 intensiv über das Budget für die Entwicklungszusammenarbeit debattiert. Wie haben Sie diese Diskussionen erlebt?
Heinrich M. Lanz: Aus verschiedenen Kommissionen sind massive Kürzungsanträge eingegangen, obwohl der Antrag des Bundesrats gegenüber dem Finanzplan bereits um eine Milliarde Franken gekürzt wurde. Damit trägt die internationale Zusammenarbeit mit einem Viertel die Hauptlast des Stabilisierungsprogramms, obschon sie nur etwa vier Prozent des ganzen Bundeshaushalts ausmacht. Die bilaterale technische Zusammenarbeit, Kernaktivität auch von Swisscontact, ist am stärksten von dieser Kürzung betroffen. Diese Entwicklung gibt Anlass zu Besorgnis. Glücklicherweise ist das Parlament schlussendlich dem Antrag des Bundesrats gefolgt, doch sind zukünftig weitere schmerzhafte Spar­runden nicht auszuschliessen.

Die Migration ist in der Schweiz aktuell ein grosses Thema. Sehen Sie die Entwicklungszusammenarbeit als Möglichkeit, um Flüchtlingsströme zu beeinflussen?
Lanz: Eine langfristige Investition in berufliche Ausbildung, die praxis- und marktgerecht sein muss, kann dazu beitragen, dass der Migrationsdruck abnimmt. Dass das kurzfristig, beispielsweise durch ein drei Jahre dauerndes Berufsbildungsprojekt, erfolgen kann, ist aber eine Illusion. Es braucht zusätzlich ein stabiles ökonomisches, soziales, und rechtliches Umfeld, damit die Investition in die berufliche Ausbildung zum Tragen kommt. Solche Prozesse können nicht von heute auf morgen umgesetzt werden. Wir müssen uns bewusst sein: Wir reden von einem Zeithorizont von einer bis zwei Generationen.

Swisscontact fördert die Privatwirtschaft in Entwicklungsländern mit dem Ziel, einen Beitrag zur Armutsreduktion zu leisten. Wo ist das 2016 besonders gut gelungen?

Samuel Bon: Hervorheben möchte ich ein Berufsbildungsprojekt in Uganda und Tansania, das wir in den letzten fünf Jahren umgesetzt haben. In Uganda ist es schwierig, mit einer technischen Berufsausbildung eine feste Anstellung zu bekommen, weil die Wirtschaft nur schleppend wächst und zu wenige neue Stellen geschaffen werden. Swisscontact stellt deshalb jungen Erwachsenen nach der Ausbildung ein Start-up-Kit zur Verfügung und begleitet sie auf dem Weg in die Selbstständigkeit. 3800 Jugendliche haben in den letzten fünf Jahren davon profitiert. Dieses Modell hat die MasterCard Foundation überzeugt. Sie hat das Projekt um weitere fünf Jahre verlängert. In Bangladesch setzen wir seit über zehn Jahren unser grösstes Marktentwicklungsprojekt um, welches wir 2017 nun  abschliessen. Es hat schon 4,8 Millionen Betriebe erreicht. Zwei Drittel der erreichten Menschen leben von weniger als 2.50 USD pro Tag. Die beteiligten Bauern und Kleinunternehmer konnten ihr Einkommen in dieser Zeit um rund 800 Mio. USD steigern. Unsere Projektinvestitionen und die daraus entstandene Erhöhung des Nettoeinkommens aller erreichten Unternehmen befinden sich bei diesem Projekt in einem Verhältnis von 1:7. Das ist ein sehr beachtlicher Erfolg. Diese ausserordentliche Wirkung wurde möglich, weil Swisscontact Geschäftsmöglichkeiten für Arme identifiziert und sie zusammen mit Unternehmen umgesetzt hat. Wir nennen diesen Ansatz «Inclusive Markets» und meinen damit, dass lokale Märkte auch Arme berücksichtigen müssen.

Das Management von Swisscontact hat zur Halbzeit der Strategie 2020 Zwischenbilanz gezogen. Welche Ziele wurden erreicht, auf welche Bereiche wird Swisscontact in den nächsten Jahren einen Fokus legen?
Bon: Die Hauptziele haben wir erreicht: Wir sind gewachsen und konnten die Finanzlage der Stiftung stabilisieren. Unsere Geber bringen uns viel Vertrauen entgegen. In der Schweiz konnten wir uns mit unseren Kernanliegen positionieren und unser öffentliches Profil schärfen. Die systematische Wirkungsmessung haben wir ausgebaut. Wir verfügen über ein stabiles Netzwerk mit guten lokalen und internationalen Partnern. Es gilt nun, diese Partnerschaften weiter zu stärken. In der Projektarbeit wird die Süd-Süd-Zusammenarbeit wichtiger werden. Swisscontact hat mit Microleasing gezeigt, wie dieses erfolgreiche Geschäftsmodell von Kenia nach Zentralamerika transferiert werden kann. Dazu gehört, dass wir lokale Firmen und Institutionen stärker befähigen. Inhaltlich stehen wir im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen. Deshalb beschäftigen wir uns mit der Frage, was unsere Rolle als internationale NGO in Zukunft sein wird.

Wie beurteilt der Stiftungsrat die Ergebnisse dieser Evaluation?
Lanz: Der Prozess war sehr wertvoll. Er war sorgfältig vorbereitet, und auch der Ausschuss des Stif­­tungs­rats wurde einbezogen. Unser Umfeld wandelt sich, deshalb war die Überprüfung der Strategie aus Sicht des Stiftungsrats interessant und nötig. Ein Trend ist neben der erwähnten Süd-Süd-Zusammenarbeit die Ökonomisierung der Entwicklungszusammenarbeit: Die Geberorganisationen beabsichtigen auch, mehr mit der Privatwirtschaft zusammenzuarbeiten. Als wirtschaftsnahe Organisation kann Swisscontact mögliche Wege aufzeigen, wie eine solche Zusammenarbeit gestaltet werden kann, damit sie die erwarteten Ergebnisse erzielt.

Sehen Sie die Bereitschaft der Privatwirtschaft, hierbei mitzuwirken?
Lanz: Grundsätzlich ja. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass die Zielsetzungen von Privatwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit im Grundsatz unterschiedlich sind. Entwicklungszusammenarbeit zielt darauf ab, möglichst alle mitzunehmen und auch die ärmsten Schichten zu fördern. Sie hat keine finanziellen, sondern inhaltliche Ziele. Ein Unternehmen ist letztlich gewinnorientiert. Wenn sich die beiden Inte­ressenlagen treffen, sollten wir das nutzen. Wir sehen bei Unternehmen insbesondere dann einen grossen Willen zur Zusammenarbeit, wenn es ihre Wertschöpfungskette betrifft.

In Peru ist Swisscontact seit 50 Jahren aktiv. In keinem anderen Land ist die Stiftung so lange ununterbrochen tätig. Ein Grund zum Feiern oder sich zu fragen, warum es das Engagement immer noch braucht?
Bon: In diesen 50 Jahren hat sich viel geändert. Swisscontact konnte die Entwicklung von Peru vom Entwicklungs- zum Schwellenland mitbegleiten. Wir haben uns immer wieder neu erfunden und den Bedürfnissen angepasst. Ein grosser Teil der Bevölkerung bekommt vom Wirtschaftsboom in den Städten nichts mit. Für sie wollen wir uns weiter engagieren. Bei schnell wachsenden Ländern ist die Gefahr gross, dass die Einkommensschere sich weit öffnet. Die Entwicklungsziele der UNO sprechen von «Inclusive Growth» – vom wirtschaftlichen Wachstum sollen alle Menschen profitieren. Wie aber kann man die ganze Bevölkerung langfristig in das Wachstum einbeziehen? Wir wollen dazu beitragen, diese Aufgabe zu lösen.

Vor über einem Jahr hat die UNO die Nachhaltigkeitsagenda 2030 beschlossen. Ist die Botschaft in der Schweiz schon angekommen?

Lanz: Die Agenda erhält seitens Politik und von internationalen Grossunternehmen mehr Beachtung, als ich erwartet habe. Das ist gut und liegt wohl daran, dass erstmals alle Länder aufgefordert sind, ihre eigenen Entwicklungsziele zu definieren. Ich hoffe auch, dass die breite Öffentlichkeit ihr Bild von Entwicklungszusammenarbeit im Zuge dieser Debatte modernisiert. Das Bild vom klassischen Helfer ist immer noch weit verbreitet, entspricht aber schon lange nicht mehr der Realität. Die Entwicklungszusammenarbeit ist ein sehr komplexes Geschäft inmitten von vielen wirtschafts-, aussen-, und sozial­politischen Spannungsfeldern.

Swisscontact hat sich 2016 schwerpunktmässig mit dem Wandel von Mikrofinanzinstrumenten in den letzten zehn Jahren beschäftigt. Worin besteht dieser Wandel?
Bon: Drei Punkte sind zentral: Ein Risiko bei Mikrokrediten ist die Schuldenfalle. Wichtig ist daher, dass Mikrokredite zweckbestimmt zur Verbesserung der Produktivität und somit zur Einkommenssteigerung eingesetzt werden. Zweitens: Fast noch wichtiger als Mikrokredite ist das Sparen. Wir zeigen Kleinunternehmerinnen und -unternehmern, wie sie durch Sparen ihre Liquidität verbessern können. Drittens fehlt es den Kleinunternehmen an Finanzkompetenzen, ohne die sie keine Chance haben, auch für grössere Finanzdienstleistungsanbieter zu interessanten Kunden zu werden. Wir bieten deshalb viel Ausbildung und Begleitung an.

Der Stiftungsrat wurde wiederum mit neuen Personen verstärkt. Auf wessen Unterstützung im obersten Gremium darf Swisscontact in Zukunft zusätzlich zählen?
Lanz: Wir haben an unserer Jahresversammlung zwei langjährige Stiftungsräte verabschiedet, Professor Fritz Fahrni und Dr. Thomas Bechtler. Per Ende Jahr ist Raphaël Odoni zurückgetreten. Allen dreien danke ich an dieser Stelle ganz herzlich für ihr Engagement. 2016 konnten wir drei neue Persönlichkeiten in den Stiftungsrat wählen: Dr. Berangère Magarinos-Ruchat, Claudia Coninx-Kaczynski und Dr. Thomas Sauber. Wir freuen uns über die neuen Kräfte im Stiftungsrat und auf die Zusammenarbeit mit ihnen und mit allen anderen Stiftungsratsmitgliedern.
Interview: Katrin Schnellmann

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